doppelhelix

Meelena stand vor ihrem Badezimmerspiegel und bürstete sich ihre Haare. Gedankenverloren ließ sie ihre Bürste sinken und betrachtete ihre Erscheinung im Spiegel. Sie war mit ihren sechsundzwanzig Jahren noch immer sehr schlank und ihr Körper wirkte fest und straff. Langsam drehte sie sich, um sich im Profil zu betrachten. Sie war mit dem Ergebnis zufrieden. Nicht viele Frauen hatten dabei so volles, braunes Haar, welches ihr im Zusammenspiel mit ihren dunklen, braunen Augen einen weichen Ausdruck verlieh.

 Sie seufzte leise.

 „Was nutzt mir das alles“, flüsterte sie leise und eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel.

 Sie wischte die Träne fort und verließ das Bad. Im Wohnzimmer saß Lennart, ihr Ehemann, an seinem Computer und arbeitete.

 Seit die meisten Firmen ihre Standorte aufgelöst hatten, arbeitete Lennart – wie fast jeder andere auch – zu Hause und war nur noch online mit dem Rechenzentrum seiner Firma verbunden.

 Lennart sah Meelena den Raum betreten und lächelte ihr zu. Noch immer spürte Meelena diese Schmetterlinge in ihrem Bauch, wenn er sie so anlächelte, obwohl sie nun bereits seit fast drei Jahren verheiratet waren. Im Grunde ihres Herzens war sie glücklich … wenn nicht …

 Sie setzte sich neben Lennart und blickte ihm über die Schulter. Wie von selbst, wanderte ihre Hand in seinen Nacken und begann ihn zu kraulen. Lennart brummte erst, doch dann wandte er sich ihr zu.

 „Was ist Schatz?“, fragte er besorgt, „Dein Blick ist so ernst.“

 Meelena sagte einen Moment lang nichts, dann rann wieder eine Träne über ihre Wange.

 „Schatz?“, fragte Lennart, „Was ist mit dir? Warum weinst du?“

 Sie schüttelte heftig ihren Kopf.

 „Lass' mich einfach“, sagte sie, „du musst dich auf deine Arbeit konzentrieren.“

 „Nein, die Arbeit läuft mir nicht weg“, sagte er, „erzähl' mir, was dich bedrückt. Bitte!“

 Meelena holte ein paar Mal tief Luft, dann presste sie es förmlich heraus:

 „Ich möchte ein Kind!“

 Lennart starrte sie verständnislos an.

 „Meelena, du weißt doch .. wir hatten dieses Thema doch schon. Mach' es dir doch nicht so schwer.“

 „Willst du denn nicht auch einen Sohn oder eine Tochter haben?“, fragte Meelena mit schriller Stimme, „Bevor wir geheiratet hatten, waren wir uns einig, dass wir unbedingt Kinder wollen.“

 Lennart nahm sie in den Arm und drückte sie sanft.

 „Du weißt genau, dass ich mir nichts sehnlicher wünschen würde, als mit dir ein Kind zu haben. Aber du weißt auch, dass das nicht geht – jedenfalls nicht so, wie wir uns das vorstellen.“

 „Ich weiß ja selbst, dass wir uns darauf geeinigt haben, unter den gegebenen Umständen darauf zu verzichten“, sagte Meelena leise, „aber ich glaube, das halte ich nicht durch.“

 „Schatz, die Gesetze zur Gendefektprophylaxe sind absolut eindeutig“, sagte Lennart, „wir haben es doch versucht – und was ist dabei herausgekommen? Bei dir besteht die Möglichkeit einer späteren Osteoporose und Wirbelsäulenproblemen, bei mir kann es eine Herzinsuffizienz oder Diabetes werden. Dann hatten sie im Kreuztest noch herausgefunden, dass unsere Kinder voraussichtlich einen Intelligenzgrad erreichen würden, der über dem Durchschnitt liegen würde – sogar weit über dem Durchschnitt. Allein das wird von der Behörde nicht gern gesehen. Sie meinten, das gäbe Probleme im sozialen Bereich zwischen unseren hypothetischen Kindern und anderen Kindern.“

 Lennart sah seine Frau an, doch sie sagte nichts.

 „Wir werden die Unbedenklichkeitsbescheinigung niemals bekommen“, gab Lennart zu bedenken, „außer, wir akzeptieren die äußeren Umstände.“

 „Die äußeren Umstände!“, platzte es aus Meelena heraus, „Ich will meine Kinder großziehen und nicht irgendeinen geformten Bastard!“

 „Nun reg' dich doch nicht so auf“, mahnte Lennart, „es würde doch auch unser Kind sein. Meinst du nicht, du könntest es nicht auch liebhaben, wenn die gesetzlichen Adaptionen vorgenommen wurden?“

 Meelena beruhigte sich etwas.

 „Ja, wahrscheinlich hast du Recht“, sagte sie leise, „sicher würde ich es trotzdem liebhaben.“

 Ihre Miene verfinsterte sich plötzlich.

 „Aber ich will es nicht!“, sagte sie heftig, „Was will ich denn schon? Ich will, dass man uns in Ruhe lässt und sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischt. Ich will ein nicht manipuliertes Kind ohne diesen Gen-Design-Dreck!“

 Lennart sah seine Frau beunruhigt an.

 „Ich kenne dich Meelena. Wenn du diesen 'Blick' hast, heckst du meist Etwas aus. Was hast du vor?“

 Sie druckste noch ein Wenig herum. Ihr Blick fiel auf die Info-Bildwand im Hintergrund des Zimmers.

 „Ist das ein interaktiver Kanal?“, fragte sie, „Können sie uns vielleicht hören? Schalte das Gerät bitte aus, ja?“

 Lennart griff nach der Fernbedienung und meinte:

 „Schatz, du leidest unter Verfolgungswahn. Niemand belauscht uns. Die Geschichten von Abhöraktionen durch interaktives Info-Net sind doch Ammenmärchen.“

 Trotzdem schaltete er den Empfänger aus. Meelena sah ihn dankbar an.

 „So, aber jetzt erzähle mir bitte, was du vorhast. Irgendwie machst du mir Angst.“

 „Ich bin vor ein paar Wochen - eigentlich mehr aus Zufall – im Net auf einen Link gestoßen, der auf eine Info-Seite der LgGD führte“, begann Meelena zu erzählen, „erst wollte ich gleich wieder wegklicken, doch dann las ich die Seite doch vollständig durch.“

 „Die Liga gegen Gen-Design?“, fragte Lennart skeptisch, „Bist du sicher? Das sind Terroristen, Verbrecher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die so einfach eine Net-Site schalten können, ohne, dass die Net-Polizei es bemerkt.“

 „Das hat mich auch gewundert. Ich weiß nicht, wieso, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es sich um Verbrecher handelt. Sie kämpfen einfach gegen den massiven Einsatz von Gen-Design in Deutschland – speziell den Einsatz am menschlichen Genom. Sie boten sogar an, Aufklärungsarbeit für Interessierte zu leisten. Da war ein Chiffre angegeben, unter dem man bei einer der großen Net-Zeitungen Kontakt aufnehmen sollte – alles anonym natürlich.“

 „Du hast doch nicht …?“, entfuhr es Lennart.

 „Doch Schatz, ich habe dorthin eine Anfrage gerichtet“, sagte Meelena, „es war doch nur eine harmlose Anfrage.“

 „Kannst du mir diese Net-Site zeigen?“, fragte er.

 Meelena schüttelte den Kopf.

 „Sie war gleich am nächsten Tag wieder verschwunden. Da ist jetzt nur noch ein Zensurvermerk der Net-Polizei.“

 Lennnart lief nervös im Raum auf und ab.

 „Wenn sie dahinterkommen, dass du … dass wir … Verbindung zur LgGD haben, sind wir geliefert“, sagte er, „du wirst nichts mehr unternehmen, hast du verstanden? Bitte! Ich habe Angst, dass sie uns Schwierigkeiten machen.“

 Meelena zuckte mit den Schultern.

 „Dazu ist es jetzt zu spät“, sagte sie, „sie haben bereits mit mir Kontakt aufgenommen.“

 „Was?“

 Sie zog ein kleines Kärtchen aus ihrer Tasche und gab es Lennart.

 „Das hier hat man mir gestern beim Einkauf unbemerkt zugesteckt. Ich habe selbst keine Ahnung, wann und wo es mir zugesteckt worden ist.“

 Lennart drehte das kleine Kärtchen in den Händen und las:

 

'Hallo Chiffre CH6598DYP3,

 Sie bekundeten Interesse an Aufklärung und Hilfestellung durch unsere Organisation. Wir haben Sie überprüft und laden Sie und Ihren Mann ein, uns zu treffen. Seien Sie am kommenden Freitag um 16:30 Uhr auf dem Bahnsteig der Röhrenbahnstation Neustädter Tor. Ein Mann wird sie ansprechen und nach dieser Karte fragen. Übergeben Sie sie ihm und folgen ihm. Bringen Sie etwas Zeit mit.'

 

„Und du hast allen Ernstes vor, dorthin zu gehen?“, fragte Lennart, „Nur, weil dir irgendwer diese Karte zugesteckt hat? Wenn es nun eine Falle ist und dich dort die Polizei erwartet?“

 „Jetzt bist du es, der unter Verfolgungswahn leidet“, warf Meelena ihm vor, „ich habe mich nur unter dieser Chiffre gemeldet, habe aber keine Angaben zu meiner Person gemacht. Ich habe keine Ahnung, wie man uns ausfindig gemacht hat, aber diese Karte dort stammt sicher nicht von der Polizei, denn die hätte es gar nicht nötig, uns noch eine Falle zu stellen, wenn sie Beweise für Verbindungen zur LgGD besitzt.“

 „Da hast du auch wieder Recht“, meinte Lennart, „aber trotzdem: Willst du dich wirklich mit diesen Leuten treffen?“

 Meelena sah ihn nur schweigend an und presste ihre Lippen fest aufeinander.

 „Verdammt, du willst es wirklich!“, stellte Lennart fest, „Was versprichst du dir nur davon?“

 „Ich weiß es nicht“, gab sie zu, „sie bieten auch Hilfestellung an, schreiben sie. Ich weiß zwar nicht, wie diese Hilfestellung aussehen soll, aber ich bin entschlossen, jede Möglichkeit auszuschöpfen.“

 „Ich halte die ganze Sache zwar für zweifelhaft und riskant, aber wenn du es dir in den Kopf gesetzt hast, werde ich es natürlich mit dir gemeinsam durchfechten.“

 Meelena warf sich in Lennarts Arme und presste sich ganz eng an ihn. Lennart wusste gar nicht, wie ihm geschah.

 „Ich danke dir“, flüsterte sie immer wieder, „ich hatte solche Angst, dass du mich nicht verstehen würdest ...“

 Er strich ihr sanft mit der Hand über den Kopf und meinte:

 „Meelena, wie kommst du nur darauf, dass ich dich nicht verstehen würde? Es ist nur … die Gesetze sind eindeutig und die Behörde greift rigoros durch, wenn sie Verstöße gegen die Gesetze zur Gendefektprophylaxe wittert. Wir haben uns hier bereits Etwas aufgebaut und sind dabei, Alles aufs Spiel zu setzen.“

 „Das ist mir egal“, sagte sie leise, „... es ist mir einfach egal.“

 

*  *  *


 

Am Freitag schien es überhaupt nicht mehr später zu werden. Ständig blickten Lennart und Meelena auf ihre Uhren. Endlich war es Zeit, aufzubrechen und zur Röhrenbahnstation Neustädter Tor zu fahren. Um diese Zeit war der Verkehr auf den Straßen nahezu unerträglich und sie mussten sich beeilen, um noch eine Röhrenbahn zu erreichen, die sie ans Ziel brachte.

 Ständig blickten sie sich um, immer in der Angst, dass sie doch jemand beobachten könnte, doch sie wurden nicht behelligt und erreichten den Ort der Verabredung noch pünktlich. Es war nicht möglich, in diesem Gewimmel von Menschen jemanden zu finden. Sie wussten auch nicht, wer mit ihnen Kontakt aufnehmen würde – ob überhaupt jemand kommen würde. Also blieben sie auf dem Bahnsteig stehen, als die Bahn weitergefahren war, wie auch die drei folgenden Bahnen.

 „Meinst du, es kommt noch jemand?“, fragte Lennart.

 Bevor Meelena antworten konnte, sprach sie ein Mann von vielleicht dreißig Jahren an:

 „Kann ich Ihnen helfen? Sie scheinen unschlüssig zu sein, wohin Sie sich wenden sollen?“

 „Danke, wir kommen zurecht“, sagte Meelena ablehnend.

 „Na kommen Sie!“, sagte der Mann, „Es sind bereits mehrere Bahnen gefahren und Sie sind nirgends eingestiegen. Da wird man doch 'mal seine Hilfe anbieten dürfen. Ich helfe gern. Allerdings würde ich noch viel lieber helfen, wenn Sie ein kleines Kärtchen für mich hätten.“

 Meelena und Lennart stockte der Atem. Dieser Mann gehörte dazu. Er war ihr Kontakt zur LgGD – oder vielleicht nicht?

 „Ein Kärtchen?“, fragte Lennart harmlos.

 Der Mann lächelte.

 „Ich verstehe Ihr Misstrauen“, sagte er, „und ich bin im Grunde sehr zufrieden mit Ihrer Vorsicht, Chiffre CH6598DYP3. Händigen Sie mir nun bitte das Kärtchen aus und ich kann Sie an Ihr Ziel bringen.“

 Zögernd griff Meelena in ihre Tasche und übergab dem Mann das Kärtchen, welches dieser in viele kleine Teile zerriss und in den nächsten Müllverbrenner warf. Anschließend machte er eine einladende Geste mit der Hand, als die nächste Röhrenbahn in die Station einlief.

 „Lassen Sie uns ein paar Stationen mit dieser Bahn fahren“, sagte er.

 Sie fuhren in der nächsten Stunde kreuz und quer durch die Stadt, wechselten spontan die Nahverkehrslinien, wählten zwischendurch kurzfristig ein Automaten-Taxi und dann wieder eine der Röhrenbahnen.

 „Wie lange soll das noch so weitergehen?“, wollte Lennart wissen.

 „Es dient der Sicherheit“, entgegnete der Mann, „für den unwahrscheinlichen Fall, dass uns jemand folgen will. Aber ich kann Sie beruhigen, wir sind bald am Ziel.“

 Wenige Minuten später erreichten Sie die Station des Belvedere-Hotels, des teuersten und luxuriösesten Hotels der Stadt.

 „Wir sind am Ziel“, sagte der Mann und führte sie über unterirdische Wege direkt in die Tiefgarage des Hotels, wo sie einen Expresslift bestiegen und sogleich ins einunddreißigste Stockwerk fuhren. Als sich die Aufzugtür öffnete, wurden sie gleich von Sicherheitskräften in Empfang genommen, doch ihr Begleiter winkte ab:

 „Sie sind sauber.“

 Endlich wurden sie in eine geräumige Hotelsuite geführt, die einen grandiosen Ausblick auf die Stadt gewährte. Meelena und Lennart standen einen Moment unschlüssig im Eingangsbereich der Suite, als eine Stimme vom Fenster her ertönte:

 „Ich heiße Sie Willkommen bei der 'Organisation'. Sie müssen Meelena und Lennart Kauling sein. Es freut mich, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben.“

 Ein etwa sechzigjähriger, leicht untersetzter Mann erhob sich aus einem Sessel und kam auf sie zu.

 „Nennen Sie mich einfach Martin, wenn Sie mich anreden wollen. Das ist zwar nicht mein richtiger Name, aber er wird seinen Zweck erfüllen.“

 Er deutete einladend auf eine bequeme Sitzgruppe.

 „Nehmen wir doch Platz. Möchten Sie etwas trinken? Ich lasse uns schnell etwas bringen.“

 Als sie Platz genommen hatten, hielt es Lennart nicht mehr aus.

 „Was wird hier eigentlich gespielt?“, fragte er, „Ich komme mir vor, wie in einem mittelmäßigen Spionage-Roman.“

 „Verlassen Sie sich darauf, dass alle Maßnahmen mehr als nötig waren, Sie hierher zu bringen“, beteuerte Martin, „die Zeiten, als Deutschland ein echter Rechtsstaat war, sind lange vorbei. Es sollte Ihnen inzwischen bewusst geworden sein, dass dies hier kein Spiel ist. Wenn ich es richtig verstanden habe, möchten Sie gern Kinder haben – richtige, eigene Kinder, nicht wahr? Sie müssen nichts sagen – wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Ihr Problem ist Ihrer beider Gencode. Sie werden von den Behörden keine Unbedenklichkeitsbescheinigung erhalten. Ihre gemeinsamen Kinder erfüllen nicht die Voraussetzungen der Behörde für Gendefektprophylaxe und sie hätten nur eine Chance: Korrektur der potentiell unbrauchbaren Gen-Informationen – Gen-Design eben..“

 „Das ist jetzt nichts wirklich Neues, das Sie uns da erzählen“, sagte Meelena, „man kann es auch anders ausdrücken: Unsere Kinder wären im Grunde nicht wirklich unsere Kinder. Sie werden einem pränatalen Gen-Design unterzogen.“

 „Genau“, bestätigte Martin, „und Sie sind jetzt hier bei mir, damit ich Ihnen eine Alternative anbieten kann.“

 „Eine Alternative?“, fragte Lennart, „Wie soll die denn aussehen? Und überhaupt: Warum tun Sie das eigentlich?“

 „Eines nach dem anderen“, sagte Martin, „ich werde jetzt etwas ausholen und Ihnen erklären, wie es eigentlich zu dieser heutigen Situation gekommen ist. Diese Informationen werden von der Net-Polizei gern aus dem Net getilgt.

 Vor etwa hundert Jahren gelang es der Forschung endlich, den vollständigen Gen-Code des Menschen zu entschüsseln. Man hatte dies als großen Erfolg bei der Erkennung und Behandlung von bisher unheilbaren Erkrankungen gefeiert. In der Folgezeit jedoch erkannten unterschiedliche Gruppen den Wert dieser Forschung und wollten ihre Scheibe vom Ganzen abbekommen. Firmen forderten DNA-Analysen von Bewerbern, um die Leistungsfähigkeit und Krankheitsanfälligkeit zu ermitteln, Banken machten Kreditvergaben davon abhängig, dass Antragsteller durch eine DNA-Probe nachwiesen, dass ihre Lebenserwartung erwarten ließ, dass eine Rückzahlung gewährleistet war. Eine lange Zeit blieben die Rechte der Bürger noch weitgehend gewahrt. Dies änderte sich, als die Belastung der öffentlichen Kassen durch Krankenbehandlungen, Vorsorge und Vieles mehr, so sehr gestiegen war, dass das System zu kollabieren drohte. Aus damals noch vielen dieser Kassen wurde die staatliche Gesundheitsbehörde. Diese setzte durch, dass bereits im Kindesalter jeder Bürger in einer DNA-Kartei erfasst wurde, um Risikogruppen sofort erkennen zu können. Dies ging der Regierung jedoch nicht weit genug – war man doch theoretisch in der Lage, den Hebel noch viel früher anzusetzen. So legte man Richtlinien fest, innerhalb welcher Grenzen sich ein Neugeborenes zu entwickeln hatte. Freie Geburten wurden für illegal erklärt, konnte man nicht durch eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nachweisen, dass man dazu berechtigt war. Jedes potentielle Elternpaar musste sich einem Test unterziehen, bei dem die genetischen Muster im Simulator kombiniert wurden. So erfuhr man sofort die späteren Anlagen, Fähigkeiten, Schwächen und Krankheitsrisiken, die bei einer Zeugung auftreten konnten. Bewegte sich das potentielle Kind im Rahmen der Richtlinien, erhielten die Eltern eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, andernfalls blieb nur das Gen-Design an Spermium und weiblicher Eizelle, sowie die künstliche Befruchtung. Die Vorteile lagen klar auf der Hand: Die Menschen variierten in ihrer Wesensart nicht mehr so stark voneinander, wie noch vor Jahren, sie verstanden sich besser, Standesunterschiede auf Grund stark unterschiedlicher Intelligenz gehörten der Vergangenheit an. Die Menschen waren allgemein gesünder und wurden älter. Die Kosten für Krankheitsbehandlungen fielen extrem.

 Gesamtwirtschaftlich also war die Einführung der Gesetze zur Gendefektprophylaxe ein Segen für uns alle. Allerdings hat man die Richlinien in den letzten zehn Jahren so stark eingeschränkt, dass von hundert beantragten Kindern heute nur noch gerade Mal drei ohne Gen-Design zugelassen werden. Wir sind also auf dem besten Weg, zu einem Volk von designten Menschen zu werden. Wir beraubten uns systematisch unserer genetischen Vielfalt. Im Ausland hat man bereits darauf reagiert und gestattet deutschen Staatsbürgern den Aufenthalt nur noch, wenn man durch eine DNA-Probe nachweist, dass man eben nicht einem Gen-Design unterzogen wurde.

 Hier kommen wir nun ins Spiel. Die Liga gegen Gen-Design ist ein scharfer Gegner der bestehenden Gesetze. Wir tun alles, um Menschen zu helfen, die sich dafür entscheiden, ein natürliches Kind zu zeugen, auch wenn es strengstens verboten ist. Die Polizeibehörden wissen natürlich, was wir tun und versuchen uns zu fassen, wo immer sie unsere Aktivitäten feststellen können. Allerdings sind wir immer besser geworden. Innerhalb des letzten Jahres ist es ihnen nicht in einem einzigen Fall gelungen, einen unserer Mitarbeiter festzunehmen. Unsere Hilfe ist natürlich nicht umsonst. Wir haben Ausgaben – immense Ausgaben, um unsere Ziele zu erreichen. In den letzten Jahren haben wir etwa zweitausend Paaren geholfen. Jeder spendet uns nach seiner Leistungsfähigkeit einen Betrag, der unsere Arbeit finanziert und sichert. Unsere Arbeit ist gefährlich, denn uns drohen langjährige Haftstrafen, wenn man uns fasst.“

 „Aber wie soll denn die Hilfe aussehen, die Sie uns bieten können?“, wollte Meelena wissen, „Ich habe immer wieder nur verstanden, dass es eigentlich aussichtslos ist, in diesem Staat ein natürliches Kind zu bekommen. Da sind unsere DNA-Proben im Register, da werden Bescheinigungen gebraucht, die nicht fälschbar sind, da sind unsere DNA-Codes auf der ID-Card, die ebenfalls nicht fälschbar ist.“

 Martin lächelte unergründlich.

 „Was die Bescheinigungen und ID-Cards betrifft, gebe ich Ihnen Recht“, sagte er, „nur: Was wäre, wenn die Angaben im DNA-Register nicht mehr – sagen wir – so ganz den Tatsachen entsprechen würden?“

 „Sie haben Zugriff auf diese Daten?“, fragte Lennart entgeistert, „Das ist unmöglich!“

 „Zweitausend Paare sind da anderer Ansicht“, antwortete Martin mit einem süffisanten Lächeln, „Sie dürfen mir glauben, dass es nicht einfach war, diese Lücke zu finden und ich bin auch nicht bereit, Ihnen zu verraten, wie es funktioniert. Es ist aber tatsächlich so, dass man höchste Sorgfalt darauf verwendet hat, die Ausweise sicher zu gestalten, die Datenbanken jedoch sind noch genau so angreifbar, wie eh und je – für jemanden, der sich auskennt, natürlich.“

 „Wir haben aber doch ID-Cards mit unserem tatsächlichen Gen-Code“, wandte Lennart ein, „da nutzt es uns nichts, damit einen Antrag zu stellen, selbst, wenn Sie es schaffen sollten, die Datenbank zu fälschen.“

 „Ich stelle Ihnen jetzt eine ganz direkte Frage: Was sind Sie bereit, für Ihr Kind zu tun?“

 Meelena sah Martin fragend an.

 „Was müssen wir denn tun?“

 „Sie werden mich gleich verlassen. Fahren Sie in die Stadt, gehen Sie einkaufen, gehen Sie nett essen – was auch immer ihnen Freude macht. Später fahren Sie nach Hause. Ab morgen bereiten Sie alles für einen Umzug in eine andere Stadt vor. Suchen Sie sich eine nette Wohnung, ein Haus, aber nicht in dieser Stadt. Hier hatten Sie bereits einen Antrag auf ein Kind gestellt. Wir sollten nicht riskieren, dass sich jemand an Sie erinnern kann.

 Nach dem Umzug melden Sie sich bei den dortigen Meldebehörden und lassen sich eine neue ID-Card ausstellen, die zu Ihrem neuen Wohnsitz passt. Die Daten dafür werden von der zentralen Datenbank angefordert. Die neuen ID-Cards enthalten dann die von uns implementierten Gen-Codes. Ich garantiere Ihnen, dass Sie bei einem anschließenden Antrag keine Probleme mehr mit der Behörde für Gendefektprophylaxe haben werden.“

 „Aber … aber … selbst, wenn das alles so klappt“, überlegte Meelena, „und wir bekommen ein Kind. Dann wird doch auch von diesem Kind eine DNA-Probe entnommen und in der Datenbank erfasst. Spätestens dann werden sie doch feststellen, dass dieses Kind eigentlich nicht von uns stammen dürfte, oder nicht?“

 „Auch diese Daten werden wir passend überschreiben“, sagte Martin, „wir werden Sie im Auge behalten, bis es vorbei ist. Wir erwarten ja auch noch Ihre Spende. Ach ja, dürfte ich Ihre ID-Cards noch einmal haben? Ich muss sie noch einscannen. Die Angaben werden für meine Leute benötigt.“

 Lennart und Meelena reichten ihm ihre Ausweise, die Martin kurz durch ein Gerät zog, welches er aus einer Aktentasche holte. Anschließend reichte er sie an die Beiden zurück.

 „Dann trennen sich jetzt unsere Wege“, sagte Martin, „ich wünsche Ihnen beiden alles Gute für sich uns ihre Kinder.“

 Sie erhoben sich und schüttelten sich die Hände.

 „Danke“, sagte Meelena, „aber mich würde wirklich interessieren, wie man dazu kommt, eine solche Liga ins Leben zu rufen.“

 Martin schien einen Augenblick nachzudenken, dann entschloss er sich, es den Beiden zu erzählen.

 „Sehen Sie, auch ich hatte eine Tochter“, sagte er, „sie war eine sehr hübsche Frau. Leider hatte sie meine Gene geerbt und die verboten es ihr, sich natürlich fortzupflanzen. Sie und ihr Freund taten es trotzdem und waren danach immer auf der Flucht vor den Behörden. Sie können sich sicher denken, wie es ist – ohne gültige ID-Card, ohne Arbeit, ohne festen Wohnsitz. Schließlich haben sie sie gefasst. Ich musste hilflos mit ansehen, wie sie beide ins Gefängnis gesteckt wurden. Das Kind wurde in ein Heim überstellt. Ich habe meine Enkelin nie wiedergesehen. Meine Tochter starb im Gefängnis an einer Lungenentzündung, wie es hieß. Es war alles sehr zweifelhaft. Ich habe mir damals geschworen, dass ich meine ganze Kraft dafür einsetzen werde, möglichst vielen Menschen zu helfen, ihre Wunschkinder auch zu bekommen.“

 Martins Augen hatten einen fast fanatischen Glanz bekommen, als er so sprach. Dann schien er zu bemerken, dass er die Kontrolle etwas verloren hatte und fasste sich wieder.

 „Sie müssen jetzt gehen“, drängte er Meelena und Lennart und schob sie in Richtung der Tür. Die Sicherheitskräfte geleiteten sie wortlos zum Aufzug zurück, der sie wieder nach unten brachte.

 „Was wird jetzt?“, fragte Meelena.

 „Was schon?“, fragte Lennart zurück, „Irgendwie haben wir uns ja wohl entschieden, unserem bisherigen Leben Lebewohl zu sagen, oder nicht? Wir werden in den kommenden Wochen eine neue Bleibe suchen und umziehen müssen. Da ich sowieso nur online arbeite, spielt es keine Rolle, wo wir wohnen werden. Hast du einen Wunsch, wo es hingehen soll?“

 Meelena schüttelte den Kopf.

 „Nein, natürlich nicht. Es kommt alles viel zu schnell. Hoffentlich haben die Behörden wirklich noch nichts mitbekommen.“

 „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Lennart, „wir sind immer noch im Besitz unserer gültigen ID-Cards und wir haben auch kein illegales Kind. Wir müssen nur unbehelligt wieder nach Hause und uns an die Anweisungen halten. Es wird schon klappen.“

 Meelena lehnte sich an ihren Mann und seufzte.

 „Irgendwie habe ich trotzdem Angst“, sagte sie.

 Der Aufzug erreichte das Tiefgeschoss und die Tür öffnete sich. Der Mann, der sie bereits hierher begleitet hatte, lehnte an einer Säule der Tiefgarage und winkte ihnen zu.

 „Kommen Sie, ich werde Sie noch durch die Service-Stollen wieder bis zur Röhrenbahn begleiten“, sagte er, „danach sind Sie auf sich allein gestellt, aber ich denke, wir waren auf dem Hinweg sehr gründlich. Ich bin sicher, dass wir nicht verfolgt wurden.“

 Er lächelte ihnen aufmunternd zu und ging voraus. Der Weg durch die Service-Stollen war kompliziert. Bereits auf dem Hinweg war es ihnen nicht gelungen, sich jede Richtungsänderung zu merken. Der Mann führte sie jedoch mit schlafwandlerischer Sicherheit durch das Labyrinth und ehe sie sich versahen, standen sie wieder auf dem Bahnsteig der Röhrenbahn, die in genau diesem Moment in die Station einfuhr.

 „Ich wünsche Ihnen Beiden alles Gute für Ihre Zukunft“, sagte der Mann noch, schüttelte ihnen die Hände und verschwand danach in der Menge.

 Meelena und Lennart bestiegen die Bahn und fuhren in die Innenstadt, wie es Martin ihnen geraten hatte. Sie besuchten ihr Lieblingsrestaurant, doch konnten sie ihr Essen nicht so recht genießen. Zu sehr waren sie mit den Ereignissen der letzten Stunden beschäftigt. Schließlich fuhren sie nach Hause. Kurz, bevor sie den Eingang zu ihrem Wohnhaus erreichten, bemerkten sie einen schwarzen Bus mit blinkenden Signallichtern, der oberhalb ihres Hauses anhielt. Eine Reihe dunkel gekleideter Männer sprang heraus und verteilte sich strategisch.

 „Gen-Polizei“, füsterte Lennart Meelena ins Ohr.

 Sie drehten sich um und erkannten, dass auch hinter ihnen ein solcher Wagen geparkt hatte und der Weg zurück ebenfalls durch Polizisten versperrt war.

 „Verdammt, was machen wir jetzt?“, fragte Meelena, „Woher wissen sie es überhaupt?“

 „Wir müssen uns ganz normal verhalten“, sagte Lennart, „unsere Papiere sind in Ordnung. Vielleicht ist es ja wieder nur eine dieser Stichprobenkontrollen, die sie manchmal machen.“

 „Ausgerechnet jetzt, hier in unserer Straße? Etwas viel Zufall, oder?“

 Außer ihnen waren noch ein gutes Dutzend anderer Menschen auf der Straße unterwegs. Die Beamten begannen, sie systematisch zu kontrollieren.

 „Ihre ID-Cards bitte“, forderte einer der Beamten höflich, als sie an der Reihe waren. Mit angehaltenem Atem warteten sie, bis ihre Ausweise gescannt waren. Mehrfach blickte der Beamte von seinem Prüfgerät auf und musterte sie eingehend. Schließlich händigte er ihnen die Papiere wieder aus und wünschte ihnen einen guten Abend. Lennart musste sich zwingen, sich seine Erleichterung nicht zu sehr anmerken zu lassen.

 „Darf man fragen, warum um diese Zeit solche Kontrollen gemacht werden?“, fragte er so unbefangen, wie möglich.

 „Sicher“, sagte der Beamte der Gen-Polizei, „wir haben Hinweise über ein Pärchen erhalten, die sich eines Verbrechens gegen die Gendefektprophylaxe schuldig gemacht haben. Sie sollen insgesamt drei illegale Bälger in die Welt gesetzt haben. Der Schaden an der Gesellschaft wäre nicht auszudenken, wenn wie sie nicht fassen.“

 Sein Gesicht erhielt einen angewiderten Ausdruck.

 „Sie haben nicht zufällig ein Paar mit drei Kindern hier in der Gegend gesehen, oder?“

 Lennart und Meelena schüttelten ihre Köpfe und gingen dann weiter. Erst im Hausflur ihres Hauses atmeten sie richtig durch. Die Suche hatte nicht ihnen gegolten. Es war ihnen aber klar geworden, dass Martin Recht hatte, wenn er forderte, dass sie ihren Wohnsitz änderten.

 

*  *  *


 Einige Wochen später betraten sie ein nüchternes, weiß gestrichenes Gebäude im Zentrum von Groß-Frankfurt, wo sie seit kurzem wohnten. Bisher hatte alles so geklappt, wie Martin es ihnen prophezeit hatte. Nach dem Umzug hatten sie im Meldeamt von Groß-Frankfurt neue ID-Cards mit ihrer neuen Adresse beantragt und auch erhalten. Tatsächlich enthielten ihre neuen Karten einen genetischen Code, der nichts mehr mit den Angaben zu tun hatte, die auf den alten Karten gestanden hatten. Sie hatten erst Bedenken, dass man sie vielleicht auf diese Diskrepanz ansprechen würde, doch der Sachbearbeiter im Meldeamt warf ihre alten Ausweise gleich in den Vernichter. Meelena hatte es sogar geschafft, einen Teilzeitjob bei einer Net-News-Agentur zu bekommen. Die ID-Card hielt auch hier der Überprüfung durch den neuen Arbeitgeber stand. Die Papiere waren also in Ordnung.

 Jetzt standen sie im Foyer des Amtes für Gen-Hygiene und Gen-Design, um einen Antrag zur natürlichen Zeugung eines Kindes zu stellen. Vor längerer Zeit hatten sie einen solchen Antrag bereits beim Amt in Hannover gestellt, wo ihre Hoffnungen und Träume zerstört worden waren.

 Jetzt sollte es anders werden. Beherzt klopften sie an der Tür zu dem Büro, das mit 'Anträge auf Unbedenklichkeitsbescheinigungen' beschriftet war. Zwei Sachbearbeiterinnen sahen zu ihnen auf, als sie den Raum betraten.

 „Wir möchten gern eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragen“, sagte Meelena mit fester Stimme.

 „Haben Sie Ihre ID-Cards dabei?“, fragte die ältere der beiden Frauen und trat zu ihnen an die Theke.

 „Selbstverständlich“, sagte Lennart und händigte ihr beide Ausweise aus.

 „Das wird einen Moment dauern“, sagte die Frau, „wir müssen nämlich eine Simulation der möglichen Kombinationen ihrer beider Geninformationen vornehmen und diese bewerten. Diese Rechenprozesse fordern selbst moderne Computer noch gewaltig.“

 „Sollen wir wiederkommen?“, fragte Lennart.

 „Nein, das wird nicht nötig sein, Sie bekommen das Ergebnis auf jeden Fall gleich mit. Sie sollten sich unsere Broschüren in der Zwischenzeit einmal ansehen. Gen-Design ist heute eine wirklich gute Alternative, kann ich Ihnen sagen. Groß-Frankfurt kann Ihnen sogar eine Steuererleichterung anbieten, für den Fall, dass Sie sich freiwillig für eine genetische Adaption Ihres Kindes entschließen. Ein paar Extras sind dabei auch noch drin. Sie könnten die Augen- und Haarfarbe, sowie selbstverständlich das Geschlecht des Kindes bestimmen. Überlegen Sie es sich.“

 Sie beugte sich etwas nach vorn und sagte eindringlich:

 „Wenn Sie mich fragen, sollte man diese natürlichen Kinder komplett verbieten. Kinder, die designt sind, machen weniger Probleme, passen sich besser an. Es gibt nur Vorteile.“

 „Lassen Sie uns das Ergebnis der Berechnungen abwarten“, sagte Meelena, „wir würden eine natürliche Zeugung und Geburt wirklich vorziehen.“

 Die Frau zuckte mit den Schultern.

 „Sie müssen es wissen“, sagte sie, „ich weise aber darauf hin, dass ich das Angebot einer Steuererleichterung nicht mehr anbieten kann, wenn das Ergbnis erst einmal vorliegt und wir eine Unbedenklichkeitsbescheinigung verweigern müssen.“

 Sie wandte sich ab und setzte sich an ihren Arbeitsplatz. Ihre Kollegin, die etwa in ihrem Alter war, lächelte ihnen aufmunternd zu.

 Eine Stunde später lag das Ergebnis vor. Alle im Gesetz geforderten Parameter waren erfüllt. Die junge Sachbearbeiterin gratulierte ihnen.

 „Es geschieht in letzter Zeit so selten, dass wir Paare sehen, denen ein natürliches Kind zugestanden werden kann“, sagte sie, „ich werde die Karte mit dem Chip, der die Unbedenklichkeitsbescheinigung enthält, sofort erstellen lassen.“

 Leise sagte sie: „Ich beneide Sie so sehr. Ich habe leider einen Gendefekt und kann nur designte Kinder haben. Trotzdem freue ich mich für Sie beide.“

 Meelena und Lennart konnten es kaum fassen. Ihr Traum war in Erfüllung gegangen. Dankend nahmen Sie ihre ID-Cards wieder entgegen und verstauten sie in ihren Jacken. Sie waren noch ganz durcheinander, verabschiedeten sich und gingen zur Tür. Als sie gerade die Klinke herunterdrücken wollten, ertönte hinter ihnen:

 „Halt!“

 Vor Schreck schienen ihre Herzen stillzustehen. Waren sie im letzten Moment noch aufgekippt? Langsam drehten sie sich um und sahen die ältere Sachbearbeiterin mit einem kleinen Kärtchen winken.

 „Sie wollen doch nicht etwa ohne ihre Unbedenklichkeitsbescheinigung gehen wollen, oder?“, fragte sie lächelnd und hielt ihnen das kleine Plastikkärtchen entgegen, „machen Sie es gut.“

 Meelena entriss ihr förmlich das Kärtchen und konnte nicht verhindern, etwas irre zu kichern. Lennart dankte noch einmal und schob seine Frau durch die Tür nach draußen.

 Im Flur hob er sie hoch und schleuderte sie mehrfach im Kreis. Es war ihm vollkommen egal, wer ihnen dabei zusah.

 „Jetzt beginnt endlich unser richtiges Leben!“, sagte Meelena glücklich.

 „Lass' uns nach Hause fahren und feiern“, schlug Lennart lächelnd vor, „ich denke, das haben wir uns verdient.“

 „Feiern?“

 „Sicher feiern“, sagte Lennart, „außerdem haben wir noch eine Familie zu gründen.“

 Meelena knuffte ihm in die Seite.

 „Du bist unmöglich!“, sagte sie und grinste ihn anzüglich an.

 „Aber ich hätte auch nichts dagegen einzuwenden ...“