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Die ursprüngliche Geschichte entstand als Aufgabe in einem Schreibforum. Es ging darum, eine Geschichte zu schreiben, in der dem Protagonisten immer wieder eine bestimmte Farbe begegnet. Sie wurde inzwischen mehrfach überarbeitet. Hier nun das aktuelle Ergebnis:
Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Job schon mache, aber mit jedem Einsatz wird es schlimmer. Im Geiste gehe ich alle Punkte durch, die mir vielleicht letztlich den Hals retten können.
Helm? Sitzt korrekt.
Brille? Okay.
Funk? Eins-zwei-drei-vier. Intakt.
Schutzweste? Nicht mehr neu, aber ordnungsgemäß angelegt. Was sie nutzt, wenn es hart auf hart kommt, bleibt abzuwarten.
Ich atme hörbar ein und schalte das Helmlicht ein. Ein roter Schein erfüllt den bisher dunklen Gang vor mir.
»Ich geh jetzt rein«, spreche ich ins Mikrofon.
»Du musst das nicht tun - das weißt du. In einer halben Stunde kann Werner hier sein. Du bist nicht mehr der Jüngste. Weiß Martina überhaupt, was du hier tust?«
»Das ist nicht fair, Georg«, antworte ich ärgerlich. »Ich kann so einen Scheiß jetzt nicht gebrauchen.«
»Eine verdammte halbe Stunde!«, erklingt es in meinem Helm. »Und wenn du einen Fehler machst?«
Ich lache humorlos auf. »Klar. Und wenn wir die halbe Stunde nicht haben? Ich bin vor Ort und hab die Erfahrung damit. Hab ich jemals dabei einen Fehler gemacht? Will es vielleicht einer von euch machen?«
»In Ordnung, ich sag ja schon nichts mehr. Aber nicht ohne Helmkamera. Wir möchten genau sehen, was du siehst. Vielleicht können wir dir Hinweise geben.«
Ich drücke eine Taste an der kleinen Kamera, die neben dem roten Scheinwerfer an meinem Helm montiert ist. »Ist eingeschaltet. Habt ihr ein Bild?«
»Klar und deutlich. Von uns aus kann es losgehen.«
Vermutlich hätte ich mir längst einen anderen Job suchen sollen, aber je älter man wird, umso schwerer wird es, Veränderungen zu ertragen. Leider wird auch der Job selbst immer schwieriger. Vorsichtig mache ich einen Schritt nach vorn. Der rote Schein meiner Lampe tanzt über Boden und Wände des Gangs. Wer hat sich nur ausgedacht, rotes Licht zu verwenden? Klar, langwelliges Licht im Rotbereich ist besser geeignet, Dunst und Staub zu durchdringen, aber ich bin sicher, dass von diesen Sesselfurzern, die das entwickelt haben, keiner sich damit jemals in die Höhle des Löwen gewagt hat.
»Der Roboter hat sie an einer Säule am Ende des Gangs - hinten rechts - entdeckt«, tönt es aus dem Kopfhörer.
»Okay«, murmele ich und laufe langsam weiter.
Früher war es nicht so, aber in der letzten Zeit bekomme ich Schweißausbrüche, wenn ich in einen solchen Einsatz gehe. Ich spüre, wie meine Hände zu zittern beginnen. Ich öffne und schließe sie einige Male, um sie zu entkrampfen. Hätten sie mich dabei beobachten können, würden sie mir sicher einige unangenehme Fragen stellen. Wer weiß? Vielleicht würden sie mich sogar in den Ruhestand schicken? Und wenn? Unter Umständen wäre es sogar das Beste ...
Ich verwerfe den Gedanken, konzentriere mich wieder auf meine Aufgabe und taste mich weiter vor.
Inzwischen habe ich das Ende des Gangs erreicht und schaue in den Raum zu meiner Rechten.
Der kleine Roboter sieht im roten Licht meiner Lampe unwirklich und bedrohlich aus, doch wirklich bedrohlich ist etwas ganz anderes.
»Scheiße, was ist das denn?«, rufe ich aus, als ich meinen Blick hebe, und der Lichtkegel auf die Säule fällt.
»Was ist los? Wir können nichts erkennen? Kannst du näher rangehen?«
»Muss ich ja wohl ...«
Ich habe im Laufe der Jahre viele Bomben entschärft, aber dieses Ding ist neu für mich. Die Fantasie, und leider auch die Kompetenz der Konstrukteure solcher Bomben wird leider immer besser. Wie einfach es früher oft war, sie unschädlich zu machen. Heute wird man mit elektronischen Schaltkreisen konfrontiert, regelrechten Mikrocomputern, Sackgassen und Fallen für Feuerwerker wie mich, die ihren Hals riskieren, um Katastrophen zu verhindern.
Ich erkenne eine Zahlenanzeige, auf der ein Countdown in großen roten Ziffern zu erkennen ist. Dieses Rot brennt sich förmlich in mein Gehirn. Zwölf Minuten, lese ich. Zwölf kurze Minuten! Verdammt! Die Anzeige sehe ich, doch wo steckt der eigentliche Zünder? Ein Wirrwarr von Kabeln scheint absolut alles miteinander zu verbinden. An der Säule sind einige Metallflaschen mit Spanngurten befestigt. Auf jeder Flasche steckt ein Mechanismus, aus dem mehrere Kabel in ein nicht näher gekennzeichnetes Steuergerät führen. Soll das der Zünder sein? Überhaupt gibt es erschreckend viele Kabel, die zwischen den einzelnen Bauteilen verdrahtet sind. Niemals können sie alle eine Funktion erfüllen. Dieser Schweinehund will mich testen!
Ich bin völlig ratlos. Diese Höllenmaschine ist ein Albtraum. Ich spüre, wie mir der Schweiß von der Stirn in die Augen läuft, und schüttle den Kopf, um wieder klarer sehen zu können. Habe ich früher auch so geschwitzt?
»Könnt Ihr das sehen?«, frage ich die Einsatzleitung.
»Ja«, ertönt es im Kopfhörer. »Was denkst du?«
»Ganz ehrlich? Ich hab keine Ahnung. Aber wenn es sich bei diesen Flaschen um den eigentlichen Sprengsatz handelt, wird es die Säule wegreißen, wenn das hochgeht. Die Statik des gesamten Gebäudes wäre gefährdet. Habt Ihr eine Idee?«
»Nicht wirklich. So ein Ding haben wir bisher auch noch nicht zu Gesicht bekommen. Da hat sich jemand eine Menge Mühe gegeben, uns zu irritieren. Bekommst du das hin?«
Meine Finger werden feucht vor Schweiß. »Ich weiß es nicht. Ich hab noch zehn Minuten.«
»Wenn es zu eng wird, kommst du da raus. Hast du verstanden?«
Diese Konstruktion wirkt im unwirklichen roten Licht meiner Helmlampe wie ein wütender Drache, der nur darauf wartet, sein Feuer auf mich zu speien.
Noch neun Minuten.
Ich beginne, die einzelnen Drähte zu verfolgen, um mir ein Bild von der Funktionsweise der Bombe zu machen. Schon wieder tropft mir Schweiß aus den Augenbrauen in die Brille. Die Sicht wird unklar. Ausgerechnet jetzt! Alles versinkt in rotem Nebel. Ich nehme die Brille ab und wische sie von innen sauber. Ich muss anerkennen, dass der Konstrukteur der Bombe ein Meister seines Fachs ist.
Noch vier Minuten und ich bin noch keinen Schritt weiter. Zum ersten Mal schleicht sich die Angst ein, es diesmal nicht zu schaffen.
»Ist keine Batterie erkennbar?«
»Mehrere sogar.« Ich deute mit meiner Spitzzange nacheinander auf verschiedene Blockzellen. »Seht Ihr das? Ich fürchte, es bringt nichts, sie nacheinander abzuklemmen. Vermutlich löst man das Ding dadurch erst aus. Und gleichzeitig? Ich hab nur zwei Arme.«
»Welche Farbe haben denn die Kabel? Kann man dadurch vielleicht etwas ableiten?«
Ich lache humorlos auf. »Rot. Sie sind alle rot. Vielleicht auch nicht, aber bei diesem verdammten Licht wirken sie alle nur rot. Ich kann es nur falsch machen. Könnt Ihr auf dem Monitor unterschiedliche Farben ausmachen?«
»Nein«, tönt es aus dem Kopfhörer. »Unser Bild ist auch nicht besser.«
»Ich möchte den Kerl schütteln, der sich rote Scheinwerfer ausgedacht hat! Dieser Schwachsinn macht mich noch verrückt!«
»Das ist kein Schwachsinn. Langwelliges rotes Licht durch-«
»Erspare mir diese Belehrungen, ja? Halt einfach die Klappe! Wenn mir von euch niemand sagen kann, welcher Draht der Entscheidende ist ... Ich kann es nicht feststellen.«
»Dann komm jetzt raus. Das Gebäude ist evakuiert. Du hast getan, was du konntest.«
Aber da sitzt dieser kleine Teufel auf meiner Schulter und flüstert mir ins Ohr: »Du wirst doch jetzt nicht aufgeben?
Drei Minuten.
Als ich die Anschlüsse der Zeitanzeige verfolge, stelle ich plötzlich fest, dass sie überhaupt nicht an den Bombenmechanismus angeschlossen sind, sondern nur von einer der Batterien mit Strom versorgt werden. Ein verdammtes Täuschungsmanöver, um mich in einer trügerischen Sicherheit zu wiegen. Es ist überhaupt keine Zeitbombe. Also muss es einen anderen Zünder geben, und das Ding kann mir jeden Augenblick um die Ohren fliegen.
Hektisch streife ich meine Handschuhe ab und betaste die Kabel.
»Verdammt! Was tust du da? Schwing deinen Arsch da raus!«
»Haltet mal einen Moment die Klappe! Ich brauche jetzt Ruhe! Ich hab da was ...«
Keine Ahnung, wieso ich nicht flüchte. Warum muss ich immer auf diesen kleinen Teufel hören? Ich habe eine Scheißangst, aber ich habe einen Verdacht. Wenn ich recht behalte ... Und wenn nicht, dann ... Ach Scheiße, es ist eh zu spät!
Ich schalte Funk und Kamera ab. Jetzt keine weitere Ablenkung!
Mit den Fingern verfolge ich die Kabel, um genau zu fühlen, wo sie hinführen. Schließlich entdecke ich eine Art Dose, in welche mehrere Kabel hineinführen. Ich ziehe den Deckel ab und schaue hinein. Mein Verdacht bestätigt sich. Die Kabel verschwinden in einem alten Mobiltelefon. Mit fliegenden Fingern reiße ich an dem Kabelbündel und trenne sie vom Telefon.
Die letzten Sekunden laufen auf dem Zifferndisplay herunter, und ich starre gebannt auf die roten Zahlen, unfähig, mich zu bewegen. Und wenn ich mich irre? Wenn dieses Zählwerk doch etwas zu bedeuten hat?
Ich fühle mich innerlich leer. Längst könnte ich draußen und in Sicherheit sein. Habe ich alles richtig gemacht, oder wird es mich gleich zerreißen? Plötzlich denke ich an Martina. Ich bin ein Idiot! Georg hat mir eine goldene Brücke gebaut, als er ihren Namen nannte. Er wusste genau, dass ich ... Aber ich ... Dieser Scheißehrgeiz. Schon als junger Mann hat es mich innerlich zerfressen, ein Problem nicht lösen zu können. Doch dieser junge Mann bin ich nicht mehr.
Wie oft habe ich Martina versprochen, diesen Beruf aufzugeben? Von einem Häuschen in der Toskana haben wir geträumt - wenn ich in Rente gehe. Ich war so kurz davor. Und jetzt?
Die Zeit ist abgelaufen. Meine Gedanken kehren in die Wirklichkeit zurück. Ich lebe noch. Meine Gefühle fahren Achterbahn. Ich stoße ein irres Gelächter aus.
Schnell trenne ich sämtliche Bauteile der Bombe von ihren Kabeln.
»Was ist los bei dir?«, schallt es vom Eingang des Gebäudes. »Alles in Ordnung? Die Leitung war plötzlich tot.«
»Ich hab es geschafft!«
»Das ist ja ... das ist ja fantastisch! Bist du in Ordnung? Warte, wir kommen rein, und holen dich. Den Rest übernehmen wir!«
Vollkommen erschöpft, setze ich mich auf den Boden und lehne gegen die Säule. Schritte kommen durch den Gang näher. Rotes Licht tanzt wild auf und ab. Dann erreichen sie mich und ihr Licht blendet mich. Schon vorher habe ich es nicht gemocht, doch jetzt stelle ich fest, dass ich diese Farbe hasse. Die Anspannung der letzten Minuten hat mich fertig gemacht. Ich zittere am ganzen Körper, aber ich lebe. Vor meinem geistigen Auge sehe ich meine Frau, wie sie mich anlächelt, wenn sie versucht, mich ihre Angst um mich nicht spüren zu lassen.
Martina, du musst nicht länger bangen. Zu oft habe ich dich enttäuscht. Doch damit ist jetzt Schluss. Das war endgültig mein letzter Einsatz.
Meine Kollegen stehen am Zugang des Raumes und schauen zu mir. Ich kann nur ihre Schemen erkennen. Herrgott, dieses Licht!
»Macht endlich dieses verdammte rote Licht aus!«, fahre ich sie an.
Ich weiß, sie können nichts dafür, doch ich brauche jetzt Ruhe. Einfach nur Ruhe.